Absolvent Toni Sehler richtet in seiner Laudatio den Blick zurück auf das erfolgreich abgeschlossene Studium und nach vorne in den neu beginnenden Lebensabschnitt.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

liebe Kommiliton:innen,

heute ist ein Tag des Abschieds. Alle von uns nehmen Abschied von einer ausgelassenen Zeit, einer Zeit des Unbeschwertseins und des entspannten Ausschlafens.

Lassen wir das zurückliegende Studium kurz Revue passieren. Am Anfang stand die Immatrikulation. Vielleicht waren einige von euch schon zur Immatrikulationsfeier im Gewandhaus dabei? Kurz darauf folgte die Ersti-Woche und der Studienbeginn. Viel zu wählen gab es vielleicht noch nicht, und doch gab uns das Studium ein starkes Gefühl von Freiheit! Keine Anwesenheitspflicht, keine Hausaufgabenkontrollen, keine Rechtfertigungen. Im Studium waren wir nur uns selbst Rechenschaft schuldig. Einige klebten den Professor:innen an den Lippen und besuchten ihre Vorlesungen mit Ehrgeiz. Andere probierten sich lieber erstmal im Party-Machen aus. Und wieder andere von uns begannen sich im Stura oder in den Fachschaftsräten zu engagieren. Von Beginn an, war das Thema Schule in unserem Studium zentral. Die Dozierenden ließen uns über Methoden, Bildungssysteme, Entwicklungspsychologie oder Lernen und Lehren nachdenken. Manches vergaßen wir vielleicht, anderes prägte unsere Persönlichkeiten oder unser Bild von Schule.

Und dann kam die erste Prüfungszeit. Die erste Klausur oder auch die erste Hausarbeit zeigte uns schnell, worauf es im Lehramtsstudium ankommt: auf gute Nerven, Fokus, den Blick für das Wesentliche und vor allem auf den Mut zur Lücke. Als Absolvent:innen des ersten Staatsexamens haben wir all diese Fähigkeiten mehrfach bewiesen. Aber auch abseits des Vorlesungsverzeichnisses boten sich viele Chancen zur persönlichen Weiterentwicklung: Workshops des ZLS, Sprachkurse, Veranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit und Klimawandel oder Auslandsaufenthalte. Abzweige und Umleitungen sind es, die unser Studium farbig und lebendig werden ließen. Wir alle kämpften uns durch mehrere, schwierige Pandemiesemester mit Zoom-Sitzungen, Videovorlesungen und Telefonsprechstunden. Ich denke, niemandem fiel es leicht, während der Corona-Pandemie zu studieren. Gratulation deshalb an alle, die trotzdem in Regelstudienzeit ihr Studium beenden konnten. Gratulation, aber auch an alle, die länger studiert haben, weil sie im Ausland waren, krank waren, eine Pause brauchten oder, wie in meinem Fall, Eltern geworden sind.

 

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um an dieser Stelle ein paar Worte des Dankes auszusprechen. Viele Menschen an der Universität Leipzig haben uns die letzten Jahre unterstützt, uns ihr Vertrauen und Verständnis entgegengebracht. Professor:innen, Dozierende und Lehrende haben uns tatkräftig in unserer Entwicklung gefördert und selbst am Abend oder am Wochenende auf hilfesuchende E-Mails geantwortet. Mitarbeitende der Universität, des Studentenwerks, des Zentrums für Lehrer:innenbildung und Schulforschung oder des Landesamts für Schule und Bildung haben uns bei allen Fragen stets freundlich und kompetent zur Seite gestanden. Sie haben uns alle notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen, damit wir uns auf die Inhalte unseres Studiums konzentrieren konnten. Sie waren Organisator:innen, Ansprechpartner:innen oder Beratende zum BAföG, zum Studieren mit Kind, zu Erasmus-Anträgen, zu den Schulpraktika und zum Starttraining oder zur ersten Staatsprüfung. All diesen Personen möchte ich im Namen aller Absolvent:innen meinen ausdrücklichen Dank aussprechen.

Wir nehmen heute Abschied von den letzten fünf oder mehr Lebensjahren, die wir an der Universität Leipzig verbringen durften. Abschied vom Campus, der unser Zuhause war. Abschied vom Nudelteller in der Mensa, vom Flatrate-Straßenbahnfahren, von Studentenrabatten, vom Netflix-Streamen in der Unibibliothek oder von bezahlten Studienreisen ins Ausland. Lebe wohl, o schöne Studienzeit, ruhe in Frieden, denn nun beginnt der Ernst des Lebens.

Wir alle werden uns zurücksehnen an den Vorlesungsbeginn um 9.15 Uhr. An die Seminare um elf und an das Mittagessen um eins. An Freistunden im Park und vorstrukturierte Studienaufgaben. Stattdessen werden die meisten von uns übermüdet von nächtlichen Unterrichtsplanungen früh um sieben im Klassenraum stehen, den selbsterstellten Unterrichtsplan noch einmal ängstlich durchgehen und auf die siebenundzwanzigköpfige Bestie warten, die pünktlich um acht  unterrichtet werden möchte.

Alle, die heute hier sitzen, haben es so gewollt! Wir haben unser Studium abgeschlossen, um die unbeschwerte Zeit gegen Chaos und Herausforderung einzutauschen und die meisten von uns werden sie auch bekommen. Noch bevor der Sommer vorbei ist, beginnt der Ernst des Lebens.

Einige unter euch hören diesen Satz sicherlich nicht zum ersten Mal. Es ist allseits beliebt, Schulanfänger:innen mit diesem apokalyptischen Ausspruch zu erschrecken. Einige ABC-Schützen fragen dann verängstigt: „Wer ist denn nur dieser Ernst?“ Andere schauen traurig zurück, auf die Zeit die hinter ihnen liegt. Und wieder andere sind total gespannt auf das, was vor ihnen liegt.

Mit dem heutigen Tag verhält es sich ähnlich. Den meisten von uns steht ein neuer, ein zweiter Schulanfang bevor. Dennoch wird es vollkommen anders sein. Wir werden andere sein, denn wir werden Unterrichtende, Beratende, Bewertende und Vorbilder sein. Wir werden Einfluss auf junges Leben nehmen. Wir werden Schüler:innen nach ihren Leistungen beurteilen müssen und nicht nach ihrer Persönlichkeit. Wir werden Fehlurteile treffen, vielleicht sogar Lebenswege verbauen, aber auch Chancen eröffnen und Unterstützung bieten. Lehrende zu sein bedeutet eine große Verantwortung. Als Absolvent:innen des ersten Staatsexamens sind wir uns alle dieser Verantwortung bewusst. Wir werden uns bemühen, engagieren, abkämpfen und dennoch dafür selten ein Lob und noch seltener einen Dank erhalten.

Wir haben einen Beruf gewählt, der von vielen Seiten nur wenig Anerkennung erfährt. Anwaltssöhne, die uns mit ihrem Papa drohen. Nachbarn, die uns ständig zu Hause sehen und uns um Wochenende und Ferien beneiden, ohne jedoch von den vielen Unterrichtsplanungen zu wissen. Eltern die selbst Lehrer:innen sind und meinen, unseren Unterricht per Ferndiagnose beurteilen zu können. Kolleg:innen, die mit ihrer Berufserfahrung auftrumpfen. Politiker:innen, die uns als „Rohstoffe“ ihres Bildungssystems betrachten und nach Belieben „verheizen“ wollen.

Referendar:innen und Lehrer:innen müssen stark sein, sich ihre Kräfte einteilen und den Mut aufbringen, all diese Herausforderungen jeden Morgen wieder annehmen zu wollen. Allen von uns, die ab September dem Ernst des Schullebens entgegentreten werden, spreche ich meinen Respekt aus. Ich wünsche allen für das kommende Referendariat Nerven wie Drahtseile, Geduld und Gelassenheit, aber auch Freude und Inspiration für den eigenen Unterricht.

Aber vielleicht gibt es auch einige unter uns, die sich anders entschieden haben. Einige, die ihr Referendariat noch etwas aufschieben wollen, eine befristete Stelle annehmen, ins Ausland gehen, ein neues Studium oder, wie ich, eine Promotion beginnen werden. Allen, die sich für den Umweg zur Schule entscheiden, wünsche ich Verständnis und Unterstützung von Familie und Freunden, einmalige und besondere Erfahrungen, die der Schuldienst nicht bereithalten kann, sowie den Mut und die Lust, sich diesen neuen Aufgaben leidenschaftlich hinzugeben. Vielleicht beginnen wir später unser Referendariat beim Freistaat. Vielleicht öffnen sich aber auch neue Türen bei anderen Arbeitgeber:innen.

Das Lehramtsstudium zu beenden, bedeutet eine Zäsur. Wir erhalten heute unser erstes „Lebensexamen“. Wir haben unseren Eltern bewiesen, dass wir alleine leben, studieren und feiern gehen können, ohne Mietschulden aufnehmen oder verhungern zu müssen. Wir haben dem Freistaat Sachsen erfolgreich demonstriert, wie wir träges Wissen für drei große Examina auswendig lernen und vor der nächsten Prüfung rechtzeitig wieder vergessen können. Wir haben uns selbst bewiesen, dass wir als angehende Lehrkräfte über uns selbst hinauswachsen, uns selbst reflektieren und strukturieren und jeden Tag ein bisschen besser werden können.

Heute erhalten wir dafür unseren Etappen-Sieg. Doch der Wettkampf geht weiter. Für die bevorstehende Zeit wünsche ich uns allen verständnisvolle Schulleiter:innen oder Arbeitgeber:innen sowie hilfsbereite Mentor:innen, Freund:innen und Unterstützer:innen für den Neuanfang.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.