Nachricht vom

In Zeiten einer zunehmenden Beschleunigung und Digitalisierung unserer Gesellschaft kann die Kulturtechnik der Achtsamkeit einen wichtigen Beitrag vor allem an Hoch-/schulen leisten. Seit mehr als zwei Jahren ist das Projekt Achtsamkeit in der Bildung und Hoch-/schulkultur (ABiK) am ZLS angebunden und hat sich zum Ziel gesetzt, Achtsamkeitsangebote an der Universität Leipzig für Studierende und Hochschullehrende, wie auch in der Lehrer:innenaus- und Fortbildung, breitflächig zu verankern. Das ABiK-Projektteam ist mit 25 Personen breit getragen, neben vielen externen Trainer:innen, durch die Projektleitung, eine Öffentlichkeits- und Koordinationsstelle, sowie Evaluierende und Hilfskräfte.
Im Interview mit dem ZLS spricht Projekt-Beteiligte Dr. Elisabeth Blanke über ihre Arbeit bei ABiK, die projektbezogenen Befragungen und ihre weiteren Forschungsinteressen.

Dr. Elisabeth Blanke ist gleich in dreifacher Funktion im ABiK-Team beteiligt – als Evaluierende, Trainerin und Ausbildnerin. Vom Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie aus betreut sie zusammen mit Prof. Dr. Ute Kunzmann der AG Entwicklungspsychologie seit März 2022 die Evaluation der Projektangebote. Zu den Themen Empathie, Emotionsregulation und Achtsamkeit hat Dr. Blanke bereits zahlreiche Studien durchgeführt und in namenhaften wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht. Zusätzlich gibt sie als zertifizierte MBSR-Lehrerin (Mindfulness-based stress reduction) und approbierte Psychotherapeutin Achtsamkeitskurse für Studierende und bildet zusammen mit Projektleiterin Susanne Krämer neue Trainer:innen aus. 

Gemeinsam mit Susanne Krämer nahm sie im November auch an der International Conference on Environmental Mindfulness in Rom teil, vernetzte sich mit Forschenden verschiedener Disziplinen und präsentierte das ABiK-Projekt des ZLS einem internationalen Publikum. Im Rahmen der Konferenz zum Themenschwerpunkt Achtsamkeit und Nachhaltigkeit stellte Dr. Elisabeth Blanke zudem die vorläufigen Ergebnisse der 3-semestrigen Evaluationsstudie zur Untersuchung des MTP/MSP-Formats mit Studierenden an der Universität Leipzig vor. 

Frau Dr. Blanke, wie sind Sie zum Thema Achtsamkeit gekommen?

Ich habe mich während meiner Dissertation am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung mit dem Thema Empathie beschäftigt. Dabei bin ich auch auf das Thema Achtsamkeit gestoßen, unter anderem im Zusammenhang mit der Frage, wie man Empathie fördern kann. Ich habe mich zuerst recht theoretisch mit dem Thema beschäftigt. Um besser zu verstehen, was ich erforschen will, habe ich einen Achtsamkeitskurs belegt. Da habe ich dann gemerkt – oh wow, das hilft mir selbst wirklich weiter, das passt zu mir. So bin ich dann auch in die Praxis eingetaucht – ich meditiere, mache Yoga, besuche Kurse und Retreats und bin mittlerweile selbst MBSR-Lehrerin. Auch in meine Arbeit als psychologische Psychotherapeutin fließt Achtsamkeit mit ein. Es ist also zu einem Thema geworden, das einen sehr hohen Stellenwert in meinem Leben hat. 

Im ABiK-Projekt sind Sie Trainerin und Mitarbeiterin im Bereich Evaluation zugleich. Welchen Vorteil sehen Sie darin?


Ich denke, wenn man ein Programm evaluiert, muss man es durchdringen, sowohl inhaltlich als auch in der Anwendung. Als Trainerin für das Mindful Teachers Program (MTP) bzw. Mindful Students Program (MSP), das Susanne Krämer im ABiK Projekt für Studierende entwickelt hat, bekomme ich mit, wie die Studierenden das Programm finden, wie es ihnen mit den Übungen geht und was sie für sich daraus ziehen. Das ist bereichernd für die Studie und für mich persönlich, da die Rückmeldungen oft sehr positiv sind. Ich bekomme aber auch direkt mit, was nicht so gut funktioniert. Im Trainer:innen-Team tauschen wir uns über unsere Erfahrungen aus, die ich dann auch als Ausbildnerin des Trainer:innenteams des Pilotprojekts an Schulen in die Schulungen einfließen lasse. Natürlich kann das aber auch die Wahrnehmung für die Evaluation verzerren. Um dem zu begegnen nutzen wir Open Science Praktiken: So haben wir beispielsweise unsere Überlegungen zum Studienanfang aufgeschrieben und festgelegt, welche Fragen wir wie beantworten wollen. Wir haben also eine sogenannte Präregistrierung gemacht, damit unsere Erfahrungen im Laufe der Studie unsere Auswertung nicht zu stark beeinflussen. 

Wie läuft die Evaluation im Projekt genau ab? Wen befragen Sie mit welchem Ziel?

Grundsätzlich gibt es für die Formate, die in ABiK angeboten werden, eine Qualitätssicherung. Wir fragen also immer nach den Veranstaltungen, wie die Teilnehmenden das Format empfanden. Für die Seminare mit den Studierenden, die als Teil der Lehre angeboten werden, haben wir eine dreisemestrige quasi-experimentelle Studie mit Prä-Post Befragung und Kontrollgruppen mit rund 500 Teilnehmenden durchgeführt. In MTP/MSP lernen Studierende Achtsamkeit für sich selbst, zur Reduktion von Stress, aber sie lernen auch, Achtsamkeit im Umgang mit anderen Menschen und mit der Umwelt zu üben. Um das zu überprüfen haben wir die Studierenden zum Anfang und zum Ende des Kurses zu diesen Themen mit psychologischen Fragebögen befragt, sowie noch einmal zum Ende des Semesters als Follow-up. Außerdem haben wir die Studierenden gebeten, eine Person aus ihrem Umfeld zu benennen, die dann zu den gleichen Zeitpunkten Fragebögen ausfüllten. Die Bekannten gaben also einen sogenannten Fremdbericht ab: Damit wollen wir überprüfen, ob Veränderungen, die die Studierenden vielleicht an sich selbst wahrnehmen, auch von Menschen in ihrem Umfeld bemerkt werden. Darüber hinaus haben wir zwei Kontrollgruppen von Studierenden rekrutiert, die kein Seminar besucht haben, aber entweder auf einen Achtsamkeits-Online-Kurs gewartet haben oder gar kein besonderes Interesse an Achtsamkeit hatten. So können wir beispielweise ausschließen, dass mögliche Veränderungen auf andere Bedingungen zurückzuführen sind (z.B. Weihnachten, Prüfungen, etc.). Aktuell werten Ute Kunzmann und ich diese Daten gerade aus, dabei kooperieren wir auch mit Wissenschaftler:innen anderer Universitäten, unter anderem Prof. Dr. Steffen Nestler von der Universität Münster und Dr. Laura Loy von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.

Das jüngst gestartete Pilotprojekt zur Lehrkräftegesundheit, welches zwischen dem Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB) und dem ZLS beschlossen wurde, wird bis Ende 2024 durchgeführt und ermöglicht kostenlose Achtsamkeitskurse in 30 sächsischen Schulen. Wie die Formate im Studium wird das Projekt ebenfalls durch eine wissenschaftliche Evaluation begleitet. Wie unterscheiden sich die Befragungen von Studierenden von denen der Lehrkräfte? 

In den Formaten für die Lehrkräfte liegt der Fokus noch stärker auf dem achtsamen Miteinander und dem System Schule als Ganzes. Die Evaluation zielt insgesamt auf die Realität der Lehrkräfte ab, wie es ihnen in der Schule geht und auch, ob sie systemische Veränderungen in ihrer Schule wahrnehmen. Da es sich um ein Pilotprojekt handelt, haben wir die Befragungen verkürzt – Lehrkräfte haben in der Regel auch noch weniger Zeit als Studierende.

Auf einer internationalen Konferenz im Rom Mitte November haben Sie die ersten vorläufigen Ergebnisse einer Evaluationsstudie mit Studierenden vorgestellt. Wie positiv und vielversprechend sind diese?

Die vorläufigen Ergebnisse sind sehr vielversprechend und deuten auf eine signifikante Verbesserung des individuellen Wohlbefindens hin. Aber nicht nur das: Das Programm scheint auch eine positive Wirkung auf nachhaltiges Verhalten zu haben. Manchmal wird als Kritik zur Achtsamkeit geäußert, sie führe zu Selbstinvolviertheit und Passivität. Wir glauben das nicht, aber wissenschaftliche Belege gibt es bisher wenige. Daher ist es ein besonderes Anliegen der Seminare, dass Achtsamkeit nicht nur als persönliche Ressource verstanden wird, sondern auch als Möglichkeit, systemische Veränderungen herbeizuführen, also ins Handeln zu kommen.

Die Konferenz verfolgt einen weitgehend neuen Forschungsbereich, der auch im ABiK-Projekt eine große Rolle spielt: der Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und Nachhaltigkeit. Was verstehen Sie darunter? Wie wichtig ist Achtsamkeit für ein nachhaltiges Leben? 

In ABiK orientieren wir uns an den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen. Diese postulieren ein breites Verständnis von Nachhaltigkeit, das beispielsweise soziale und umweltbezogene Aspekte mit einschließt. Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass achtsamere Menschen sich prosozialer und umweltbewusster verhalten. Achtsamkeit bietet möglicherweise eine Basis für einen inneren Bewusstseinswandel, der auch Nachhaltigkeit befördert. Durch die Achtsamkeitspraxis kann ich lernen, mich meinen Empfindungen und Erfahrungen zuzuwenden, anstatt sie zu verdrängen. Auch schwierige Gefühle, wie beispielsweise Angst vorm Klimawandel können so konfrontiert werden. Gleichzeitig kann ich mir durch die Praxis der Verbundenheit mit meinen Mitmenschen und der Natur bewusst werden – das regt zum Handeln an. Für mich zeichnet sich Achtsamkeit dadurch aus, dass sie so vielfältig hilfreich sein kann – für mich selbst, für meine Mitmenschen und für die Umwelt. Daher halte ich Achtsamkeit für einen wichtigen Baustein für ein nachhaltiges Leben. Das heißt nicht, dass Achtsamkeit der einzige Weg ist – aber es ist ein guter Anfang, denke ich. 

Eine letzte Frage: Zu Ihren Forschungsinteressen gehören neben Achtsamkeit im Alltag u. a. auch Empathie über die Lebensspanne. Wann im Leben sind wir am empathischsten oder sollten es zumindest sein?

Das ist eine gute Frage. In der Psychologie unterscheiden wir üblicherweise zwei Facetten von Empathie: Die kognitive Facette bezieht sich auf das gedankliche Erschließen des Zustands einer anderen Person, die emotionale Facette bezieht sich auf das Mitschwingen mit den Gefühlen der anderen Person. Beide entwickeln sich in der Kindheit und Jugend. Das emotionale Mitschwingen scheint sich zumindest im Erwachsenenalter nicht groß zu verändern, vielleicht wird es sogar etwas stärker. Bei der kognitiven Empathie gibt es einige Befunde, dass sie zum jüngeren Erwachsenenalter zunimmt und dann wieder mit höherem Erwachsenalter abnimmt, möglicherweise weil das gedankliche Erschließen eine kognitive Leistung erfordert, die von altersbedingten Abbauprozessen betroffen ist. Die Vermutung liegt nahe, dass wir eher im jüngeren Erwachsenenalter besonders empathisch sein müssen, da es viele Aufgaben gibt, die Empathie erfordern – beispielweise beim Einstieg in einen Job oder beim Gründen einer Familie. Allerdings ist die Abnahme von kognitiver Empathie mit dem Alter kein robuster Befund, da es sehr drauf anzukommen scheint, wie man Empathie untersucht. Beispielsweise scheinen ältere Erwachsene vor allem weniger gut in Empathie-Aufgaben abzuschneiden, die mit ihrer Lebensrealität wenig zu tun haben – denn Empathie hat auch etwas mit Motivation und auch mit Übung zu tun. Da schließt sich der Kreis zum Anfang: Achtsamkeit kann dabei helfen, Empathie zu üben, also beispielsweise die Signale anderer Menschen aufzunehmen, so dass ich besser mitfühlen und sie verstehen kann. Achtsamkeit kann auch dazu motivieren, empathisch zu sein, da sie die Verbundenheit mit anderen Menschen und der Natur fördern kann. Und das braucht unsere Gesellschaft aus meiner Sicht in allen Altersgruppen.
 

Vielen Dank für das Gespräch.