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Im Mai veröffentlichte das Staatsministerium für Kultus (SMK) unter dem Titel Bildungsland Sachsen 2030 ein Strategiepapier für die Schule der Zukunft im Freistaat Sachsen. Die finale Strategie ist das Ergebnis eines mehrstufigen öffentlichen Konsultationsverfahrens und soll anhand von Maßnahmen die schulische Bildung in den kommenden Jahren weiterentwickeln. Wir haben mit dem Projektleiter Matthias Böhme und der Referatsleiterin für den Bereich der Lehrerbildung im SMK, Petra Zeller, u. a. über das Leitmotiv „Evolution statt Revolution“ und das in der Strategie verankerte Handlungsfeld „Professionalisierung“ gesprochen.

Das Strategiepapier zeigt auf, wie die schulische Bildung im Freistaat Sachsen bis 2030 weiterentwickelt werden soll. Im Mai wurde es mit den Worten Evolution statt Revolution veröffentlicht. Was ist mit dieser Aussage gemeint? 

M. Böhme: Das sind die Worte, die Minister Christian Piwarz dem Strategieprozess zu Grunde gelegt hat. Er ist auch derjenige, der diesen Prozess initiierte. Im Kern geht es darum, dass wir – ausgehend von insgesamt guten Leistungsergebnissen, die das sächsische Schulsystem erstmal hat – vor dem Hintergrund von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen unser Schulsystem weiterentwickeln, d. h. Schule in Sachsen in verschiedenen Bereichen wie Lernen, Steuerung, Professionalisierung und bei Fragen der Infrastruktur neu denken müssen.

Eine zweite Anmerkung dazu: jede Revolution führt zu erheblichen Kollateralschäden. Ich denke, dass Kinder und Jugendliche einen Anspruch darauf haben, verlässlich gute Bildung zu bekommen. Verlässlich heißt auch, dass es nicht ums Experimentieren gehen sollte, sondern darum, was Schule zukünftig benötigt, um Kinder und Jugendliche bestmöglich zu fördern. 

 

Welche Änderungen oder Maßnahmen sind in der Lehrkräfteausbildung mit dem Strategiepapier konkret geplant, um den Anforderungen der Schule der Zukunft gerecht zu werden?

P. Zeller: Die Maßnahmen der Lehrkräftebildung haben wir in dem Handlungsfeld Professionalisierung zusammengefasst und nehmen damit übergreifend Bezug auf alle Phasen. Das Personal, das in Schulen agiert, wird sich verändern. Die Trends zeigen das sehr eindeutig. Schon jetzt haben wir an unseren Schulen nicht nur Lehrkräfte, die den Unterricht maßgeblich gestalten, sondern weitere Professionen oder Expertisen, die den Lern- und Entwicklungsprozess unserer Schülerinnen und Schüler begleiten – Schulassistenten, Sozialpädagogen und das gesamte Backoffice. Und so wollen wir Professionalisierung auch sehen, bezogen auf multiprofessionelle Teams. Uns beschäftigen also z. B. Fragen wie: Was müssen wir zukünftig an zusätzlichen Angeboten bereithalten, sodass sich diese Teams entwickeln? Wie sind  dann die einzelnen Professionen zu unterstützen? Wie kann es dabei gelingen, dass sich Lehrkräfte wieder stärker auf die Unterrichtstätigkeit fokussieren können und was bedeutet das für ihr berufslebenslanges Lernen? 

Des Weiteren müssen wir schauen, wie ein anderes Zusammenwirken der ersten und zweiten Phase der Lehrkräftebildung erreichbar ist. Aber hier greift wieder das Motiv: Evolution und nicht Revolution. Die phasenübergreifende Zusammenarbeit haben wir als einen Prozess in der Strategie etabliert, letztendlich sind das aber Themen, über die wir schon sehr lange sprechen. Das Anliegen dieses Handlungsfeldes ist es, an den gemeinsamen Prozessen und Verbindungen noch sehr viel stringenter und nachhaltiger zu arbeiten. 

M. Böhme: Ergänzend kann man sagen, dass sich auch Maßnahmen aus dem weiteren Handlungsfeld Lernen in der Lehrkräftebildung niederschlagen müssen. Wir haben einen Fokus z. B. sehr stark auf den fächerverbindenden Unterricht gelegt. Da müssen didaktische Konzepte von fächerverbindendem Lehren natürlich automatisch in den Fokus der Lehrkräftebildung rücken. Weitere Beispiele wären das digitale Lernen, das digitale Selbstlernen, der adäquate Umgang mit den Chancen, aber auch den Risiken von digitalem Lernen, denen wir verstärkt und altersangemessen nachgehen müssen. Insofern lassen sich u. a. aus dem Handlungsfeld Lernen Akzente für eine zukünftige Lehrkräftebildung ableiten. 

 

Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Experten der Bildungslandschaft waren an dem Prozess beteiligt. Welche Maßnahmen sind vom Expertenrat für den Bereich der Professionalisierung empfohlen und besprochen worden, stehen letztendlich jedoch nicht im Strategiepapier? 

P. Zeller: Wir sind mit einem Rahmen und unserer Zielstellung in die Diskussion gegangen und haben innerhalb dieses Rahmens mit dem Expertenrat diskutiert. Demzufolge ging es nicht darum, eine Vielfalt von Erfahrungen der Experten aus ihren unterschiedlichen Perspektiven aufzunehmen. Entlang der Zielstellungen lag unser Interesse darin, Orientierungen, Ideen, Hinweisen zu folgen, die realistisch unter den gesetzten Bedingungen umsetzbar schienen. Ich würde daher nicht sagen, dass wir bestimmte Sachen verworfen haben. Es war immer wichtig, die dahinterliegende Intention zu verstehen und ggf. bestimmte Impulse in unseren Maßnahmen zu bewahren. Empfehlungen fanden insoweit eine Modifizierung oder wurden nur zu dem Teil in den Maßnahmen etabliert, von dem wir überzeugt sind, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen eine Umsetzung in den nächsten Jahren bis 2030 erlauben. Gerade bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte gibt es z. B. vieles, was man sich vorstellen kann. Wenn wir jedoch keine reale Chance haben, in den nächsten sieben Jahren bestimmte Ideen auch nur ansatzweise zu platzieren, dann fanden sie als Maßnahme eher keinen Platz. 

M. Böhme: Meiner Erinnerung nach hat sich der Expertenrat im Handlungsfeld Professionalisierung zunächst sehr umfangreich zum Professions- und Professionalisierungsverständnis ausgetauscht. Das ist als ein großer Unterschied zu den anderen Expertenräten aufgefallen, die teilweise sehr schnell in die konkreten Maßnahmen gegangen sind. In diesem Themenbereich hat es länger gedauert, weil es darum ging, ein Grundverständnis zu entwickeln zwischen zwei extremen Polen: einerseits die individuelle Selbst- und Potenzialentfaltung der Lehrkraft und andererseits die Lehrkräftebildung und Professionalisierung im Sinne einer strukturierten Kompetenzentwicklung, um gut für die Tätigkeit an der Schule vorbereitet zu sein. In diesem Spannungsfeld haben sich die Diskussionen bewegt.

Zusätzlich würde ich gern nochmal die Brücke zum Grundansatz „Evolution statt Revolution“ schlagen. Als Kultusbereich bestimmen wir die Struktur ja nicht allein, sondern immer in Kooperation mit Partnern. Für die erste Phase sind das die Hochschulen, die der Hochschulfreiheit unterliegen. Das sind verbriefte, verfassungsrechtliche Dinge, die natürlich wichtig und zu achten sind. Für uns ist es wichtig, dass wir mit den Grundlagen, die wir haben, gut umgehen und hier auch gute weitere Entwicklungspotenziale erschließen. Wir wollen an der Stelle wirklich ins praktische Tun kommen und haben uns deshalb auf die Themen fokussiert, die wir mit unseren bewährten Strukturen vorantreiben können.

 

Wie geht es weiter für uns als Hochschule bzw. als Zentrum für Lehrer:innenbildung und Schulforschung der Universität Leipzig? 

M. Böhme: Dieses Strategiepapier ist in erster Linie die Strategie unseres Geschäftsbereichs. Deswegen war uns auch dieser Prozess wichtig, damit wir uns inhaltlich fokussieren und vergewissern, wo wir hinwollen. In einem nächsten Schritt werden wir in die Planung der Umsetzung gehen und bedenken müssen, dass nicht alle Maßnahmen zugleich umgesetzt werden können. 
Das heißt, Sie müssen jetzt ein Stück weit noch Geduld haben. Mit Blick auf unsere herausfordernde gesamtpolitische Situation ist es dennoch unser Anspruch und unser Ziel, zeitnah in die Umsetzung zu gehen. Zumal ja ein großer Teil von Maßnahmen für uns nicht völlig neu ist. 

P. Zeller: Wir haben ja gerade in dem Bereich der Professionalisierung mit den Hochschulen schon einen sehr guten Stand. Beim Stichwort phasenübergreifende Zusammenarbeit sind die Prozesse schon im Entstehen und die Arbeitsgruppe ins Leben gerufen worden. Ich kann es nur betonen: uns geht es vor allen Dingen darum, das Ganze zu institutionalisieren, zu verstetigen und einen systematischeren Prozess zu entwickeln. Wir fangen definitiv nicht bei null an. Auch bei dem Punkt des Ausbaus der Praxisangebote im Studium sage ich für Leipzig nichts Neues. Das Transferprojekt StartTraining feiert zehn Jahre Bestehen, hier sind wir mit einer festen Komponente schon lange dabei. Doch welche weiteren Ideen können noch entstehen? Was haben andere Hochschulen an Möglichkeiten, ganz konkrete Angebote für Studierende zu machen, die für die Kompetenzentwicklung wirksam sind?
Wir sollten jetzt nicht das Gefühl haben, dass gerade ein Ballon gelandet ist und wir packen staunend die Dinge aus, die sich im Korb finden lassen. Sondern wir sind schon on Tour und fokussieren uns noch stärker oder haben mit dem Strategiepapier das ein oder andere, was einzeln unterwegs war, zu einem Bündel zusammengefasst und in den Abhängigkeiten aufgezeigt.

 

Vielen Dank für das Gespräch.