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In einem Seminar zur Achtsamkeit erfährt eine Psychologiestudentin, was es bedeutet, den Moment bewusst zu erleben – jenseits von Produktivität und Multitasking. Eine persönliche Reflexion über innere Ruhe, veränderte Perspektiven und den achtsamen Umgang mit sich selbst und der Welt.

Wann war das letzte Mal, dass ich vor dem Seminar eine Tasse Tee oder einen Apfel wirklich geschmeckt habe? Nicht nebenbei, während ich ein Video schaue oder meine E-Mails checke, sondern ganz bewusst. Wie oft eile ich durch meinen Alltag, ohne meine Aufmerksamkeit auch auf die kleinen Dinge zu lenken? Jene sind Fragen, die ich mir ohne das Seminar
wahrscheinlich nie gestellt hätte. Ebenso wenig hätte ich verstanden, worum es bei Achtsamkeit wirklich geht. Dabei lässt sich Achtsamkeit durch die bewusste, nicht-wertende Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments definieren, welche auf einer offenen und akzeptierenden Haltung gegenüber inneren und äußeren Erfahrungen basiert, das heißt aller körperlichen Empfindungen, Wahrnehmungen, Affektzustände, Gedanken und Vorstellungen.

Und doch ist Achtsamkeit so viel mehr als nur diese Definition, die ich bereits im Rahmen meines Studiums kennenlernen durfte, ohne sie wirklich zu verstehen. Wenn ich eins gelernt habe, dann dass man Achtsamkeit erlebt (und geübt) haben muss, um sie zu verstehen. Achtsamkeit ist nicht nur ein theoretisches Konzept im Kontext von Stressbewältigung, sondern eine langfristige Haltung gegenüber dem eigenen Erleben und Verhalten. Für mich ist Achtsamkeit die Möglichkeit, in den Moment einzutauchen, ohne bewertend oder lösungsorientiert arbeiten zu müssen. Egal wie viele Gedanken im Alltag bezüglich der Zukunft und Vergangenheit aufploppen, Achtsamkeit holt diese zurück ins Jetzt. Allgemeine Ziele von Achtsamkeit können dabei die Verbesserung der Kognition, der Emotionsregulation, der körperlichen Gesundheit, die Reduktion von Stress sowie die Erhöhung von Empathie und Mitgefühl sein. Durch das Seminar habe ich mir anfangs versprochen, meine Konzentration und Selbstregulation zu verbessern.

Im Laufe des Semesters hat sich mein Ziel jedoch von einem primären Fokus auf Produktivität hin zu einem Fokus auf öfteres Innehalten und ein bewussteres Erleben des Alltags verändert. Wichtig ist mir auch, meine Bedürfnisse in Situationen besser wahrnehmen zu können und meinen Blick auf die Welt nachhaltig zu verändern. Um diese Ziele zu erreichen, haben wir im Seminar verschiedene Modelle, Übungen und Meditationen kennengelernt. Drei zentrale Modelle, die im Seminar behandelt wurden und mich besonders beeinflusst haben, sind die Folgenden. Impulsdistanz: Achtsamkeit hat mir geholfen, impulsive Reaktionen  auf Stressoren in der Umwelt zu reduzieren. Durch die bewusste Wahrnehmung von Gedanken und Gefühlen vergrößert man den Abstand zwischen Reiz und Reaktion, in dem man innehält und die Situation genau wahrnehmen kann. Für mich konnte ich feststellen, dass insbesondere Atemübungen geholfen haben, diesen Abstand herzustellen. Wenn ich beispielsweise vor einer stressigen Situation bewusst einige tiefe Atemzüge genommen habe, fiel es mir wesentlich  leichter, nicht impulsiv zu reagieren und nachzudenken, bevor ich ins Handeln kam. 

In Streitsituationen konnte ich dabei eine Eskalation an verschiedenen Stellen vermeiden. Emotionsregulationssysteme: Laut dem im Seminar vorgestellten Modell existieren drei Systeme: das Bedrohungs-, Antriebs- und Beruhigungssystem. Achtsamkeit fördert das Beruhigungssystem, indem sie den Vagusnerv aktiviert, was durch das Bleiben im „Sein-Modus“ zu weniger Stress und einer besseren Emotionsregulation führt. Das Bedrohungs- und Antriebssystem hingegen führen aufgrund des Fokus auf den „Tun-Modus“ zu einer erhöhten Stressreaktion. 

Im Alltag durfte ich lernen, dass alle 3 Systeme ihre Berechtigung haben. Eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis hat, trotz dessen, für mich den Effekt gehabt, das Bedrohungssystem stärker zu beruhigen und ich auch unter Stress ruhiger bleiben konnte. Zudem war es hilfreich, das Wissen zu haben, welches System gerade anspringt, um es besser kontrollieren
zu können. Embodiment: Achtsamkeit legt einen großen Fokus auf die Verbindung zwischen Körper und Geist. Meditationen, wie zum Beispiel die Gehmeditation oder der Body-Scan, fördern die Wahrnehmung eigener körperlicher Regungen, wodurch ich Stresssignale früher erkennen konnte. Ich konnte feststellen, dass durch eine verbesserte Wahrnehmung des Körpers  auch Stressreaktionen leichter entdeckt werden. Das bringt Zeit, bewusst entgegenzusteuern. Zudem habe ich bei meiner Weisheitszahn-OP aktiv versucht, meinen Körper zu entspannen (durch Lockern der Muskulatur und langsames Atmen), wodurch sich meine innerliche Anspannung ebenfalls reduzieren ließ. Aber auch in anderen Lebensbereichen habe ich Veränderungen durch Achtsamkeit bemerken können: Achtsamkeit und nachhaltiges Verhalten gehen Hand in Hand. Bewusstere Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel beim Konsum, der eigenen Mobilität oder im zwischenmenschlichen Umgang, sind für mich ein zentraler Aspekt der gelebten Achtsamkeitspraxis, denn Achtsamkeit berührt auch den Punkt, die langfristigen Konsequenzen des eigenen Handelns zu reflektieren und Impulse, beispielsweise bezüglich des eigenen Kaufverhaltens, aktiv wahrzunehmen, statt ihnen direkt nachzugeben. 

Als persönliches Beispiel möchte ich meine gesteigerte Aufmerksamkeit für meinen eigenen Konsum aufgreifen: Ich hinterfrage seitdem stärker, was ich wirklich brauche, wo meine Werte liegen, und kann durch die bewusste Wahrnehmung mein eigenes Verhalten besser steuern. Darüber hinaus waren es aber auch die inspirierenden Gespräche, die ich führen durfte und die Personen, die ich im Seminar kennenlernen durfte, die mich zu einem nachhaltigeren Leben motiviert haben. Ebenso schätze ich alltägliche Naturerlebnisse stärker als zuvor, was mein Bewusstsein für Umwelt- und Klimafragen gefördert hat. Eine der Übungen, die mir dabei geholfen hat, war die Alltagsbeobachtung zum werteorientierten Handeln. Ich habe beobachten können, dass viele meiner Verhaltensweisen, insbesondere im Bereich Nachhaltigkeit, routiniert sind. So ist der Griff zur gewohnten Shampoo Flasche langsam zu einer Suche nach einem nachfüllbaren Shampoo geworden, bei Putzmitteln achte ich auf ökologischere Produkte und bevor ich etwas selbstverständlich bestelle, schaue ich nach gebrauchten Alternativen. Achtsamkeit hat mich auch gelehrt, mir aktiv Zeit für diese für mich wichtigen Dinge aktiv zu nehmen, weil sie es wert sind.

Psychologiestudierende,Teilnehmerin MSP